Adventskonzert Kinderchor der Staatsoper

Programm

Gabriel Pierné

DIE KINDER ZU BETHLEHEM

Weihnachtslieder für Kinderchor, Solisten und Orchester

Termine

2020 ist ein außergewöhnliches Jahr, auch zu Advent und Weihnachten. Auf Vieles muss verzichtet werden, eine Tradition wird jedoch fortgeführt: Der Kinderchor der Staatsoper musiziert gemeinsam mit der Staatskapelle. Aus dem Saal des Opernhauses Unter den Linden wird mit »Die Kinder zu Bethlehem« des französischen Komponisten Gabriel Pierné ein Weihnachtsoratorium der besonderen Art übertragen. Dazu erklingen bekannte Lieder, die alljährlich zu Weihnachten gesungen werden, auch 2020.

Handlung

Die Kinder zu Bethlehem: Ein Weihnachtsoratorium aus Frankreich für die Welt

Allzu gern greift man in der Advents- und Weihnachtszeit auf das Vertraute zurück, auch und gerade bei der Musik. Bachs »Weihnachtsoratorium« und Händels »Messias« sind die Klassiker des Repertoires, wenn es um Chorwerke geht. Dabei lohnt sich der Blick darüber hinaus, auf einen Komponisten und sein Werk, der zu Lebzeiten große Resonanz gefunden hatte, dann aber im Schatten verblieb. Gabriel Pierné, ein Zeitgenosse von Claude Debussys und Richard Strauss, ist der Nachwelt allenfalls als Uraufführungsdirigent von Igor Strawinskys spektakulärem Ballett »Der Feuervogel« ein Name und Begriff. Dabei ist sein reiches kompositorisches Schaffen durchaus von Interesse: Sechs Opern hat Pierné geschrieben, dazu mehrere Ballette, zahlreiche Lieder und Chorwerke sowie Orchester-, Klavier-, Orgel- und Kammermusik. Am bekanntesten aber sind seine Oratorien geworden, unter ihnen »La Croisade des Enfants« (Der Kinderkreuzzug), »Saint François d’Assise« und »Les Enfants à Bethléem« (Die Kinder zu Bethlehem). In ihnen zeigen sich ein individueller Zugriff auf die Elemente des Musikalischen und ein jederzeit souveräner Umgang mit den Kräften von Solisten, Chor und Orchester.

Pierné, ausgebildet am renommierten Pariser Conservatoire, hatte schon frühzeitig als Organist und Dirigent auf sich aufmerksam machen können. Zu seinen Lehrern zählen so bekannte Persönlichkeiten wie César Franck (dessen Nachfolger als »Organist titulaire« an Sainte-Clotilde Pierné 1890 wurde) und Jules Massenet, der große französische Opernkomponist des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. 1903 übernahm Pierné eine Leitungsposition bei den »Concerts Colonne«, von 1910 bis 1933 sollte er deren Chefdirigent sein. Mit diesem Orchester realisierte er eine Reihe von viel beachteten Uraufführungen, neben dem »Feuervogel« etwa von Werken seines Freundes Claude Debussy, von Maurice Ravel, Paul Dukas, Gabriel Fauré, Albert Roussel, Darius Milhaud und Arthur Honegger – man kann gewiss sagen, dass Pierné einer der zentralen Gestalten im Pariser Musikleben seiner Zeit war. Auch durch Tonaufnahmen wurde sein Name bewahrt, wenngleich sein Ruhm als Komponist nicht in gleichem Maße von Dauer war.

Stilistisch war Pierné ausgesprochen vielseitig – je nach Genre und Werk konnte er verschiedene Gestaltungsweisen aktivieren, vom »hohen Stil« bis ins Populäre hinein. Eine sinnfällige Verbindung dieser Ebenen ist nicht zuletzt auch in »Les Enfants de Bethléem« spürbar. In dem 1907 vom berühmten Concertgebouworkest Amsterdam uraufgeführten Werk für Erzähler, Gesangssolisten, Kinderchor und Orchester kam es Pierné offenbar darauf an, künstlerischen Anspruch mit einer spürbaren Eingängigkeit und Verständlichkeit zusammenzubringen. Dass es ihm durchaus gelungen ist, wird an vielen Stellen deutlich: Einerseits erweist sich Pierné als ein Komponist, der dem groß besetzten Orchester eine breite Palette an Klangfarben und eine reiche harmonische Sprache abgewinnt, zum anderen sind immer wieder liedhafte Passagen einbezogen, insbesondere natürlich in den Partien der Kindersolisten und des Kinderchors. Zitate von Weihnachtsliedern sind dies freilich nicht, sondern neu erfundene Melodien, die jedoch sehr deutlich dem Stil der »chants populaires« verpflichtet sind.

»Les Enfants de Bethléem« lässt den Hörer teilhaben an der Weihnachtsgeschichte, die aus der Sicht von jungen Hirten erzählt wird. Diese – gesungen vom Kinderchor – stehen im Mittelpunkt und erleben sowohl den Weihnachtsstern, der das Geschehen im Stall von Bethlehem ankündigt, als auch das Erscheinen der Könige aus dem Morgenland, die ebenfalls vom Stern zur Heiligen Familie geleitet werden. Sie alle begegnen Maria und dem Kind, zudem auch Ochs und Esel, die das weihnachtliche Bild komplettieren. Eine durch und durch romantische Atmosphäre breitet sich aus, getragen von einer Tonsprache, die der Ästhetik und dem Stil des späten 19. Jahrhunderts entspricht. Piernés »Les Enfants de Bethléem«, bereits kurz nach seiner Entstehung mit einem deutschen Text versehen, ist ein Werk von großer Farbigkeit und einem weit gespannten Ausdrucksspektrum, das seit über einem Jahrhundert nichts von seinem Reiz und seiner Wirkungskraft verloren hat – es ist ein besonderes, unmittelbar die Emotionen ansprechendes Weihnachtsoratorium aus Frankreich für die Welt.

Text von Detlef Giese