Daniel Barenboim – ein Dank für 30 Jahre und mehr
Kein Geringerer als Wilhelm Furtwängler war es, der dem damals elfjährigen Daniel Barenboim bescheinigte, ein »Phänomen« zu sein. Im Sommer 1954 fand diese Begegnung statt, im Umkreis der Salzburger Festspiele. Nicht allein als Zeichen höchster Anerkennung eines in der Tat staunenswerten musikalischen Talents war dieses Wort zu verstehen, es öffnete auch Wege zu einer einzigartigen Karriere. Denn wer möchte es bestreiten, dass Daniel Barenboim nach rund sieben Jahrzehnten auf den Podien der Welt – erst als Pianist, dann als Dirigent, oft auch in Personalunion – alles erreicht hat, was überhaupt in der Welt der klassischen Musik möglich schien, dass er – häufig über lange Zeit – mit den bedeutendsten Orchestern und Künstler:innen erfolgreich zusammengearbeitet hat, dass er zu den zentralen Persönlichkeiten des internationalen Kulturlebens zählt, dass nicht zuletzt auch seine Stimme als Humanist und Weltbürger wahrgenommen wird und Relevanz besitzt.
In der Geschichte musikalischer Institutionen gibt es immer wieder Verbindungen, die besonders eng und produktiv sind. Die Staatsoper Unter den Linden und die Staatskapelle Berlin sind da keine Ausnahmen – die Anziehungs- und Ausstrahlungskraft von Haus und Orchester scheint ausgesprochen groß zu sein, ebenso die Tradition, dass hier Musiktheater und Sinfonik gleichermaßen im Fokus stehen und mit hohem künstlerischem Anspruch verwirklicht werden. Seit dem 19. Jahrhundert waren hier immer wieder Künstler tätig, die über ungewöhnlich lange Zeiten die Geschicke und die Geschichte prägten.
Auf mehr als drei Jahrzehnte einer intensiven, erfüllten Zusammenarbeit mit der Staatsoper und der Staatskapelle kann Daniel Barenboim nun zurückblicken, und wir mit ihm. Seit er das Orchester – und den Staatsopernchor – zur Jahreswende 1991/92 erstmals öffentlich dirigierte (kaum zufällig galten die beiden Auftaktkonzerte Beethovens 9. Sinfonie) und im Herbst 1992 mit Wagners »Parsifal« (auch das eine bewusste Wahl) die erste Opernproduktion folgte, hat sich eine beeindruckende Menge von Aufführungen angesammelt. Nur sehr unvollkommen vermögen diese Zahlen auszudrücken, was diese Zusammenarbeit noch alles beinhaltet; sie seien aber mitgeteilt, um die Dimensionen einmal vor Augen zu führen: 760 Musiktheatervorstellungen (Oper und Ballett) und über 850 Konzerte summieren sich auf über 1.600 Aufführungen. Darin enthalten sind über 450 Auftritte bei Gastspielreisen, die Daniel Barenboim und die Staatskapelle in weltweit rund 80 Städte und rund 90 Opernhäuser und Konzertsäle führten. Hinzu kommen zahlreiche, vielfach ausgezeichnete CD- und DVD-Produktionen, die den hohen Stellenwert und die über viele Jahre in gemeinsamer Arbeit gewachsene künstlerische Qualität von Dirigent und Orchester noch einmal unterstreichen. Auch Daniel Barenboims Auftritte als Pianist, Liedbegleiter und Kammermusikpartner wie seine Konzerte mit renommierten Gastorchestern, die im Zusammenhang mit der Staatsoper Unter den Linden standen (so etwa zu den international stark beachteten FESTTAGEN, die er 1996 ins Leben gerufen und seither geprägt hat) gehören zum Gesamtbild dieser drei Jahrzehnte dazu. Und wenn man bedenkt, dass während dieser Zeit sein Tätigkeitsradius noch weit größer war und Posten wie den des Chefdirigenten des Chicago Symphony Orchestra, des Musikdirektors am Teatro alla Scala di Milano, regelmäßige Projekte bei den Bayreuther und den Salzburger Festspielen und mit den Berliner und Wiener Philharmonikern umfasste, dazu den Aufbau und die stetige Weiterentwicklung des West-Eastern Divan Orchestra und der Barenboim-Said-Akademie, die im Pierre Boulez Saal ein Forum gewonnen haben, das Daniel Barenboim als Dirigent und Pianist ebenfalls sehr prägt, so steht man voller Staunen vor dieser Lebensleistung. Ein enorm vielgestaltiges, schier unübersehbares Tätigkeitsfeld liegt vor uns, das mit unglaublicher Energie Tag für Tag bearbeitet wurde – auch in dieser Hinsicht ist Daniel Barenboim wirklich ein »Phänomen«.
Die Staatsoper Unter den Linden und ihr Orchester, das ihn im Jahr 2000 zum »Chefdirigenten auf Lebenszeit« wählte, bilden zweifellos das Zentrum – sie sind zur künstlerischen Heimat geworden, seit nunmehr gut drei Jahrzehnten. Im Mai 1990 war Daniel Barenboim mit der Staatskapelle erstmals in Berührung gekommen, bei einer Probe zum »Parsifal«-Vorspiel. Und er war »fasziniert vom Klang dieses Orchesters. Er erinnerte mich an den Klang, mit dem ich aufgewachsen war, an den Klang des Israel Philharmonic Orchestra, dessen Musiker ja zum größten Teil aus allen Ländern Europas eingewandert waren«, so hat er Jahre später seine Eindrücke geschildert. Seither besteht diese sehr besondere Verbindung, die auch mit dem offiziellen Rücktritt als Generalmusikdirektor zum 31. Januar 2023 nicht zu Ende ist. Neben den Erinnerungen an viele bewegende, hoch eindrucksvolle und lange nachklingende Opern- und Konzertaufführungen bleibt die Aussicht auf Weiteres. Hier und heute aber sagen die Staatsoper Unter den Linden und die Staatskapelle Berlin: Herzlichen Dank, Daniel Barenboim! Herzlichen Dank für die gemeinsame Zeit, den gemeinsamen Weg und eine gemeinsame Geschichte, deren Bedeutung wir wohl erst nach und nach richtig erfassen werden können.
Einen Überblick über die gemeinsame Zeit bietet die Publikation, die jüngst zu Daniel Barenboims 80. Geburtstag erschienen ist und die Sie hier bestellen können:
In besonderer Erinnerung bleibt das Open-Air-Konzert mit der Staatskapelle Berlin im Rahmen von STAATSOPER FÜR ALLE 2019 auf dem Bebelplatz mit Jiyoon Lee als Solistin: